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„Unternehmen brauchen eine eigene Identität & Persönlichkeit“


Dies verrät uns Professor Dr. Michael Müller auf die Frage, was Unternehmen tun können, um sich im Arbeitsmarkt einen Namen zu machen.

Michael Müller ist Professor für Medienanalyse und Medienkonzeption an der Hochschule der Medien Stuttgart und einer der führenden Experten für die Anwendung narrativer Methoden in Deutschland. Seit 20 Jahren berät er auf der Basis narrativer Ansätze Unternehmen und Organisationen bei der Kommunikations- und Kulturentwicklung, bei Veränderungsprozessen und Markenführung. Darüber hinaus hat Michael Müller eine Ausbildung zum systemischen Berater bzw. Coach absolviert und coacht Führungskräfte, Einzelpersonen und Teams bei der Gestaltung ihrer "Core Story", bei Entwicklungs- und Entscheidungsprozessen. Er leitet an der Hochschule das „Institut für Angewandte Narrationsforschung (IANA)“ (www.narrationsforschung.de) und führt die zertifizierte Weiterbildung „Narratives Management“ (www.narratives-management.de).

Herr Müller, könnten Sie uns kurz erklären, wie sich Storytelling und Narratives Management voneinander abgrenzen lassen?

Storytelling ist ein Teilbereich des narrativen Managements. Storytelling bedeutet den strategischen Einsatz von Geschichten, die erzählt werden, um bestimmte Ziele zu erreichen: im Marketing, im Employer Branding, in den PR.

Narratives Management umfasst einen größeren Rahmen. Es ist die Arbeit mit narrativen Geschichtsstrukturen auch in anderen Bereichen, z. B. im Changemanagement. Ganz konkret werden zum Beispiel vor einem Change-Prozess Geschichten von den Mitarbeitern gesammelt und analysiert, um so die verborgenen Regeln im Unternehmen aufzuspüren. Diese erfährt man nicht durch eine reine Befragung, weil sie von den Mitarbeitern unbewusst befolgt werden. So können Change-Prozesse umgesetzt werden, ohne dass sie gegen eine Wand von Widerständen laufen; außerdem werden die Mitarbeiter in einem solchen Prozess viel besser mitgenommen. Das ist eine Methode, bei der es letztlich um Storylistening geht.

Was ist das Besondere an Geschichten?

Geschichten sind das, was den Menschen so etwas wie Sinn vermittelt.

Eine gemeinsame Geschichte gibt Unternehmen oder Teams, also sozialen Systemen, einen Sinn für das, was sie tun, für die eigene Arbeit, das Projekt. Es ist eine Führungsaufgabe zu erklären, was wir erreichen wollen und dies in Form einer Geschichte den Mitarbeitern zu vermitteln, um sie mitzunehmen. Eine Aussage wie „wir wollen xx% mehr Umsatz oder Gewinn“ ist vielleicht etwas für die Investoren, aber vermittelt Mitarbeitern nicht wirklich, dass sie ihre Arbeit als sinnvoll erleben können.

Wie ist ihre Wahrnehmung vom Einsatz narrativer Methoden im Kontext der Arbeitgebervermarktung?

Ich habe mir mehrere Beispiele (Webseiten) angeschaut und eigentlich habe ich nur bei der Firma Fresenius etwas gefunden. Das sind sehr schöne Storytelling-Beispiele. Es sind kurze Videos, in denen Mitarbeiter oder Projektleiter von ihren Jobs erzählen. Das kommt deshalb so gut an, weil sie sehr authentisch erzählen.

Es gibt viele Videos, in denen erzählen die Mitarbeiter zwar auch und dennoch kommen sie nicht gut an. Woran liegt das?

In der Regel liegt es daran, dass die Mitarbeiter-Statements inszeniert werden. Solche Videos sieht man oft, in denen eigentlich offizielle Statements abgesendet werden, die man schon tausend Mal gehört hat und die daher vorbei rauschen: „Wir sind innovativ“, „wir sind teamorientiert“. Das nimmt keiner ernst.

Ich könnte mir vorstellen, dass es gerade in diesem Bereich ganz wichtig ist, die Mitarbeiter zum Erzählen zu bringen. Sie sollen von ihrem Alltag, von ihren Projekten berichten, denn das macht es spannend: Was kann ich dort machen, wie ist es, wenn ich dort arbeiten würde? Vorab muss man sich aber die Core Story – also die Kerngeschichte, die das Unternehmen von sich erzählen will – überlegen. Diese wird dann in unterschiedlichen Aspekten durch die Mitarbeitergeschichten angereichert. Es ist nur leider so, dass viele Unternehmen unsicher sind, insbesondere wenn es um die Nutzung von Social Media geht. Wie können die Unternehmen noch kontrollieren, was erzählt wird? Doch dafür gibt es Instrumente und Prozesse, die das Risiko eingrenzen.

Es wird immer wichtiger, dass die Unternehmen eine eigene Identität und „Persönlichkeit“ bekommen. Und das passiert, in dem sie Geschichten über sich erzählen – über die üblichen Mission-Statements hinaus.

Was ist eine Geschichte im Sinne von Storytelling?

Geschichten haben immer die gleiche Grundstruktur: Jede Geschichte hat einen Protagonisten, eine Hauptfigur, um die sich die Handlung dreht. Das kann natürlich auch ein Team oder sogar das gesamte Unternehmen sein. Außerdem hat jede Geschichte einen Anfang und ein Ende, und zwischen diesen beiden Zeitpunkten geschieht etwas, das eine Veränderung auslöst: Am Anfang ist der Protagonist vielleicht unglücklich, am Ende glücklich. Zwischen Anfang und Ende muss es also ein Ereignis geben, das diese Veränderung auslöst – vielleicht verliebt sich der Protagonist. Jede Geschichte erzählt also von einer Transformation. Wenn diese strukturellen Elemente gegeben sind, dann ist es eine Geschichte.

Storytelling wird in vielen Bereichen schon angewandt: Marketing, Filmindustrie usw... Wo nehmen Sie zusätzlich eine stärkere Durchsetzung wahr?

Im Changemanagement und im Leadership-Bereich finden narrative Methoden in den letzten Jahren immer häufiger Einsatz. Im Zusammenhang mit Leadership geht es darum, wie ich als Führungskraft mit meinen Mitarbeitern eine gemeinsame Geschichte entwickeln kann, sodass sich ein Team oder ein ganzes Unternehmen in der Geschichte wiederfindet: DAS MACHEN WIR!

Der dritte große Bereich ist der des Wissensmanagements und betrifft sogenannte „Leaving Experts“. Das sind die langjährigen Experten, die über Jahre ein Erfahrungswissen angesammelt haben, das nirgendwo hinterlegt ist. Das liegt daran, dass es ihnen persönlich überhaupt nicht bewusst ist, welchen Erfahrungsschatz sie aufgebaut haben. Bevor sie das Unternehmen verlassen, werden in langen narrativen Interviews Erfahrungen aufgenommen und in einer Geschichte zusammengefasst, die für die Nachfolger hinterlegt wird.

Sehen Sie eine weitere Methode, die bei der Arbeitgebervermarktung nützlich sein könnte?

Ich könnte mir vorstellen, dass zur Identifizierung der Unternehmensmarke Storylistening gut helfen kann. Dabei hört man den Geschichten der Mitarbeiter zu, um herauszufinden, was sie besonders am Unternehmen schätzen. Dabei kommen oft Schätze zum Vorschein, an die man nicht denken würde.

Worin unterscheidet sich die Nutzung von Storytelling im Kontext der Arbeitgebervermarktung und etwa der Coca-Cola-Werbung?

Bei der Produktwerbung geht es darum, wie ich dem Kunden mit meinem Produkt helfen kann. Hier hat eine Veränderung zu früher stattgefunden, der Held ist häufig nicht mehr das Produkt, sondern der Kunde und das Produkt ist der Helfer. Häufig werden aber in Werbung fiktive, erfundene Geschichten verwendet.

Im Employer Branding wirken am besten echte, authentische Geschichten, die man üblicherweise über Mundpropaganda erzählen würden. Eine Aufgabe kann sein, Gelegenheiten zu institutionalisieren, bei denen die Mitarbeiter erzählen können, was sie im Unternehmen erleben und wie es ihnen dabei geht.

Welche Kultur braucht es, um Narratives Management zu leben?

Es sollte eine Kultur sein, die offen für solche Formen ist. Eine Geschichte lebt nur, wenn es auch Zuhörer gibt – auch im Management (lacht). In einer angstbehafteten Kultur wird das nicht so gut funktionieren.

Welche technologischen Entwicklungen sehen Sie in dem Zusammenhang auf uns zukommen?

Das eine ist „Virtual Reality“ bzw. alles was in Richtung „total immersion“ geht. Der Gaming-Bereich ist dabei schon am weitesten, im Spiel hat man eine aktive Rolle, das ist etwas einfacher zu gestalten. Aber auch beim (filmischen) Geschichtenerzählen wird das in den nächsten Jahren ein großes Thema sein.

Ein weiteres Entwicklungsthema ist transmediales Erzählen – wie kann ich eine Geschichte über mehrere Plattformen erzählen? Beim crossmedialen Erzählen wird eine Geschichte ebenfalls über mehrere Plattformen erzählt, jeder Bestandteil ist aber für sich verständlich. Beim transmedialen Erzählen wird eine Geschichte über mehrere Medien erzählt, und ich muss alle durchlaufen, um der Geschichte folgen zu können.

Und eine abschließende Frage, wie wird man ein guter Geschichtenerzähler?

Es gibt ein Buch des amerikanischen Schriftstellers Jonathan Gottschal, „The Storytelling Animal“. Hier wird schön beschrieben, dass uns Menschen Geschichtenerzählen angeboren ist, es wurde mit der Zeit nur leider etwas vergraben. Wenn ich in Unternehmen Workshops mache und sage, „Erzählen Sie eine Geschichte.“, dann kommt sofort als Reaktion: „Ich bin kein Erzähler, ich kann nicht erzählen.“ Alle denken, dafür muss man eine „Rampensau“ sein und ganz wild auf der Bühne etwas hermachen. Das ist überhaupt nicht so, denn, wenn man ganz authentisch, auf die ganz eigene Art und Weise erzählt, was man erlebt hat, dann wirkt das immer stark und intensiv. Man kann sich ein paar Techniken antrainieren, worauf man besonders achten kann. Viel wichtiger ist aber, auf die eigenen Geschichten und die eigene Fähigkeit, diese erzählen zu können, zu vertrauen. Es sind letztlich kaum zusätzlichen Skills nötig, die man erlernen muss, sondern es geht eher darum, einen Schatz, den man schon hat, zu heben, bewusst zu machen und sich zu trauen.

Vielen Dank für dieses Interview.

Wenn Sie mehr dazu erfahren möchten:

Im März erscheint das neue Buch von Michael Müller „Einführung in narrative Methoden der Organisationsberatung“ im Carl Auer Verlag.

Fachkonferenz zu narrativen Ansätzen und Storytelling in Organisationen, 19.-20.05.2017 in Heidelberg (www.beyondstorytelling.com).

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